Wien ORF.at
MI | 11.04.2012
"Leonce und Lena" mit Häftlingen als Protagonisten (Bild: Mario Lang)
THEATER
Häftlinge spielen "Leonce und Lena"
Dem Stoff von Georg Büchners "Leonce und Lena" widmen sich Insassen der Justizanstalt Wiener Neustadt. Ab heute stehen Häftlinge für das Theaterstück auf der Bühne. wien.ORF.at hat mit Regisseur Manfred Michalke gesprochen.
Aufführungen von "Leonce und Lena" finden im Palais Kabelwerk statt.
Acht Häftlinge auf den Brettern der Bühne
Im Mittelpunkt der aktuellen Produktion unter der Regie von Manfred Michalke, "Leonce und Lena", stehen acht Häftlinge der Justizanstalt Wiener Neustadt, von denen viele im Palais Kabelwerk zum ersten Mal auf den Brettern der Bühne stehen werden.

Einige von ihnen sind bereits zum zweiten Mal dabei, denn "Leonce und Lena" ist eine Weiterführung der Theaterarbeit, welche mit "Gerettet" 2009 in der Jugendanstalt Gerasdorf ihren Ausgang nahm. "Es ist unbeschreiblich, welche Seiten diese Menschen von sich kennen lernen - das ist nur durch Kunst möglich", beschrieb Michalke seine Erfahrungen mit den Häftlingen gegenüber wien.ORF.at.

Die Arbeit bringt auch Herausforderungen mit sich: "Diese Menschen sind das Textlernen nicht gewohnt. Darüber hinaus handelt es sich um Weltliteratur, das ist keine einfache Kost", so Michalke, der deshalb seit Anfang des Jahres mehrmals wöchentlich mit den Häftlingen probt. Die Auswahl der Stücke sowie der Protagonisten ergebe sich stets "aus dem Thema, das wir aufzeigen wollen".
Regisseur Manfred Michalke (Bild: Michalke)
Regisseur Manfred Michalke probt seit Anfang des Jahres wöchentlich mit den Häftlingen für das Stück "Leonce und Lena".
Manfred Michalke insziniert seit 1994 Bühnenwerke mit Migranten und Behinderten.
Randgruppenthemen thematisieren
Mit der Integration von Randgruppen der Gesellschaft beschäftigt sich das Wiener Vorstadttheater, das sich als integratives Theater Österreichs versteht, seit seiner Gründung durch den freischaffenden Manfred Michalke im Jahr 1994.

Der Regisseur inszenierte bereits Bühnenwerke von und mit Migranten und Menschen mit Behinderung und zog verschiedene Randgruppenthemen in sein Schaffen ein - ganz nach der Tradition des Theaterhauses.

Kinder mit Migrationshintergrund standen etwa im Stück "Don Quijote - ein Vorspiel" zugunsten von Kinder, die Verbrechensopfer wurden, auf der Bühne. Im 2005 aufgeführten Stück "Nachtasyl" wirkten Asylwerber mit und machten auf ihre Situation aufmerksam. Im vergangen Jahr wurde "Gerettet" von Edward Bond" aufgeführt, welches erstmals gemeinsam mit jugendlichen Straftätern erarbeitet wurde.
Zum Stück "Leonce und Lena"
Die Komödie von Georg Büchner stammt aus dem Jahr 1836 und gilt eher als eine Polit-Satire. Prinz Leonce und Prinzessin Lena sollen miteinander verheiratet werden ohne sich zu kennen. Die beiden wehren sich und beschließen zu fliehen.

Unterwegs begegnen sich die beiden – und verlieben sich ineinander. In Unkenntnis der Identität des jeweils anderen erscheinen sie maskiert am Hofe von Leonces Vater und lassen sich dort verheiraten. Doch statt ihren Eltern einen Streich zu spielen, erfüllen sie so die Bestimmung, der sie hatten entgehen wollen.
Multikulturelles Kulturangebot für sozial schwache Bevölkerungsschichten.
Nestroy und Schnitzler heimlich aufgeführt
Theatergeschichtlich steht das Wiener Vorstadttheater in der Tradition der Hinterhofbühnen, die immer schon ein multikulturelles Kulturangebot für sozial schwache Bevölkerungsschichten anboten.

"Schon in der Vor- und Zwischenkriegszeit wurde 'Randgruppen' eine Plattform geboten, ihre Probleme durch Kunst zu artikulieren. Tschechische Tänzer und italienische Sänger traten hier schon auf", erzählte Manfred Michalke.

"Die günstige Lage außerhalb der Stadtmauer ermöglichte es den sogenannten 'Außenseitern" außerdem, die Zensur zu umgehen", so Michalke. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden hier heimlich Nestroy, Schnitzler und andere Werke verbotener Autoren aufgeführt. "Soziale Probleme und Konflikte aufzuzeigen ist eine uralte Theatergeschichte, die das Wiener Vorstadttheater fortführt."
Theaterstück "Leonce & Lena" im Palais Kabelwerk (Bild: Mario Lang)
Möglichkeit für Menschen, die vom Kulturbetrieb ausgeschlossen sind, ihre Probleme kund zu tun.
Kunst von Betroffenen für Betroffene
Bis in die heutigen Tage versteht sich das Theaterhaus als eine Plattform, auf der Menschen, die üblicherweise vom professionellen Kulturbetrieb ausgeschlossen sind, die Möglichkeit haben, ihre Probleme durch Kunst vermittelt der Öffentlichkeit nahe zu bringen.

Die Idee, gesellschaftliche Randgruppen in eine Theaterproduktion einzubeziehen, entstand 1993. Im Rahmen der Eröffnung eines Pavillons für mehrfachbehinderte Menschen im niederösterreichischen Lanzendorf wirkten behinderte Menschen bei einem Schattenspiel mit - seither existiert der Zusatz "integratives theater österreichs".
Die Auswahl der Protagonisten fand im Gefängnis statt.
Casting hinter Gittern
Aufgrund ihrer Lebenssituation können die Protagonisten nicht zu ihm kommen, deswegen kommt Michalke zu ihnen: Zuerst wurde das Projekt im Gefängnis ausgeschrieben, dann fand auch das Casting hinter Gittern statt - "wie nicht hinter Gittern".

Mit der Zeit entwickelte er ein Fingerspitzengefühl, sodass er mittlerweile feststellen kann, wer tatsächlich Theater spielen möchte und wer hingegen die vielen Proben und das Auswendiglernen scheut. "Ich rate zuerst jedem von großen Rollen ab, wer sich trotzdem meldet, will es zu 100 Prozent", weiß er aus Erfahrung. Der Einsatz auf der Bühne erfordere großes Interesse und persönliches Engagement von den Darstellern.
Das Projekt hat laut Michalke "einen therapeutischen Nebeneffekt für die Darsteller".
"Ihre Strafregister interessieren mich nicht"
Dass seine Arbeit mit sozialen Randgruppen Früchte trägt, beweisen die vielen kleinen und größeren Erfolge: "Die Begeisterung für das Theaterspielen lässt viele über sich hinaus wachsen", so der Regisseur, den die persönlichen Schicksale seiner Protagonisten wenig interessieren. Auch Mitleid zu erregen liege ihm völlig fern.

"Ich kenne ihre Strafregister nicht, das wäre nur eine Belastung der Beziehung. Mein Interesse gilt nur der Arbeit, ich kenne lediglich deren Vornamen", sagt Michalke, der einigen Protagonisten schon den Weg zu Theaterkarrieren ebnete.

"2005 haben wir 'Nachtasyl' mit Asylwerbern aufgeführt. Eine Frau aus Georgien wurde daraufhin am Burgtheater engagiert." Auch große Teile des Ensembles des Stücks "Sonnenaufgang" wurden am Burgtheater verpflichtet. "Durch die positiven Erfahrungen gewinnen die Menschen ihr Selbstwertgefühl und das damit verbundene Sozialempfinden zurück", freut sich Michalke über den "therapeutischen Nebeneffekt" des Projekts.
Stephanie Burtscher, wien.ORF.at
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